Herr der Ringe
Spricht man heute mit Freunden über den Herrn der Ringe, besteht die erste Reaktion häufig aus schmerzhaften Erinnerungen ans eigene Gesäß. Drei Stunden Filmdauer - pro Film, in der Extended Edition versteht sich. Das Ganze sei doch nur ein langgezogenes Märchen mit einfachen Bildern von Gut und Böse. Sowas schauen sich Kinder an aber für Erwachsene war das doch nur langweilig.
Meine eigene Erfahrung mit dem Herrn der Ringe war gleichwohl eine völlig andere. Die Trilogie war die erste Fantasyliteratur, für die ich mich begeistern konnte - im zarten Jugendalter. Doch richtig gelesen habe ich sie erst als Erwachsener - der Schreibstil war mir als Jugendlicher einfach zu anstrengend. Gleichwohl ist dies auch das hervorstechende Merkmal von Tolkien im Vergleich zu den damals üblichen Kampagnenromanen der etablierten Rollenspiele - sein Schreibstil hat sprachliche und erzählerische Substanz. Auch wenn das bisweilen bedeutet hat, jeden einzelnen Grashalm einer Szenerie im Detail zu beschreiben.
Hintergrund
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal war, dass Tolkiens Geschichte über einen gewaltigen Hintergrund verfügte. Nicht nur den Hobbit als Vorgeschichte - wer das Silmarillion und sämtliche von Tolkiens kleinen Geschichten in Mittelerde gelesen hat, ging mit einem völlig anderen Repertoire an die Ringkriege heran. Als Aragorn in den "Gefährten" von "Beren und Luthien" singt, hatte man die dazugehörige Geschichte gelesen. Man kannte die Geschichte des weißen Baumes von Gondor, der Elben und der Valar. Der Hexenkönig von Angmar war nicht nur ein Titel, sondern man hatte den Krieg von Angmar gegen Arnor im Gedächtnis. Galadriel war nicht irgendeine glorifizierte Elbin, sondern eine Noldor aus dem ersten Zeitalter, die selbst den Krieg gegen Morgoth (Saurons Meister) miterlebt hatte. Das hat eine völlig andere Bedeutung für die Immersion.
Nun war der Herr der Ringe vor der Filmtrilogie natürlich nur in Buchform erhältlich. Schon vor den Filmen hat es jedoch das Ansinnen gegeben, dieser Geschichte und seinen Figuren und Schauplätzen eine optische Form zu geben. Geliefert wurden diese von diversen Künstlern, allen voran Alan Lee. Schon lange vor den Filmen hatten die Freunde Mittelerdes also eine recht genaue Vorstellung davon, wie eine potenzielle Verfilmung auszusehen hätte. Und damit ist nicht ein gewisser Zeichentrickfilm gemeint.
Filmumsetzung
Doch nun endlich zurück zur Filmtrilogie. Warum ist diese für mich nachwievor die bemerkenswerteste Verfilmung, die es je gegeben hat? Als ich ins Kino ging, wusste ich über Tolkiens Welt alles, was es zu wissen gab. Ich hatte die Bücher mehrfach gelesen, das Silmarillion und sämtliche Geschichten verschlungen, als Twen MERS gespielt, die Bilder von Lee und anderen genossen und gesammelt. Die Musik diverser Künstler wie z.B. Blind Guardian gehört und all das war mir nachwievor präsent im Bewußtsein.
Und dann erlebte ich im Film etwas, was ich erhofft, aber nicht erwartet hatte: Das Sammelsurium aus Geschichten, Bildern und Atmosphäre verband sich nahtlos mit dem, was im Film daraus gemacht wurde. In etlichen Szenen sah ich die Bilder von Lee übergangslos Realität werden. Einen solchen Grad an Immersion habe ich seitdem nie wieder erlebt und der Moment dieser Erkenntnis ist in der Lage, emotional tiefgehend zu berühren. Dieser Eindruck wird auch nicht durch das Fehlen einiger Details und der kompletten Geschichte um Tom Bombadil geschmälert.
Fazit
Natürlich ist der Herr der Ringe am Ende dennoch eine Geschichte von Gut und Böse, wie zahllose andere, die sich an diesem Vorbild hernach ausgerichtet haben. Er wurde oft kopiert, aber nie erreicht. Weil so gut wie alles danach nicht die Substanz und die sprachliche Dimension hatte, die Tolkien hier erschaffen hat. Wer nur die Filme an sich betrachtet, mag darin nur ein übermäßig in die Länge gezogenes Märchen sehen. Für mich ist es die Abenteuergeschichte meiner Jugend, die nie übertroffen wurde.
Veröffentlicht: | 01.08.2021
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Letzte Änderung: | 04.08.2021 |